Die Bundeskonferenz der Kolpingjugend möge folgenden Krisenleitfaden zum Schutz des Kindeswohls beschließen:

Was tun ...
... wenn etwas nicht mit kindgerechten Dingen zugeht?

Dann heißt es: Nicht wegschauen, sondern hinschauen und aktiv werden! Auch die beste Vorbeugung und Stärkung der Kinder kann sie nicht umfassend vor Gefährdungen schützen.

Wenn wir als Jugendleiter/innen erfahren, dass ein Kind misshandelt oder missbraucht wird oder der Verdacht begründet scheint, dass ein Kind gravierenden Mangel im Elternhaus erleidet, wollen wir in der Regel so schnell wie möglich etwas tun. Wir sind unter Umständen entsetzt, vielleicht auch wütend und können die Vorstellung kaum aushalten, dass das Kind solche Erfahrungen machen musste und vielleicht gegenwärtig auch noch macht.

Zum Wohle des Kindes ist es jetzt wichtig, nicht den Kopf zu verlieren. Kinder brauchen die Sicherheit, dass wir nicht voreilig, vielleicht sogar über ihren Kopf hinweg, sondern besonnen handeln. Das bedeutet im konkreten Fall: Erst einmal Ruhe bewahren und sich Unterstützung suchen¹.

Auch ist der eigene Schutz zu beachten. Stets gilt: Achte auf dich selbst! Mute dir nichts zu, was dich emotional und fachlich überfordert.

... bei verbalen oder körperlichen Grenzverletzungen zwischen Teilnehmer/innen bei Gruppenstunden, Freizeiten oder sonstigen Veranstaltungen?

  • Dazwischen gehen und die Situation mit den Beteiligten klären.
  • Wiedergutmachung/Entschuldigung herbeiführen.
  • Gegen sexistisches, diskriminierendes und gewalttätiges verbales oder nonverbales Verhalten aktiv Stellung beziehen.
  • Vorfall im Leitungsteam besprechen und abwägen, ob Aufarbeitung in der ganzen Gruppe oder einer Teilgruppe sinnvoll ist, und ob Konsequenzen für die Urheber/innen zu ziehen sind.
  • Bei erheblichen Grenzverletzungen sollten auch die Eltern, bzw. Erziehungsberechtigten der Betroffenen informiert werden. Zur Vorbereitung auf so ein möglicherweise heikles Gespräch nimmst du am besten Kontakt zu einer Vertrauensperson (nähere Informationen und Kontaktdaten findest Du auf der Notfall-Checkkarte und in der Handreichung) oder einer Fachberatungsstelle (siehe Adressen) auf.
  • Wenn bereits Umgangsregeln mit der ganzen Gruppe erarbeitet wurden, darauf nochmal gezielt verweisen, ansonsten diese mit der ganzen Gruppe entwickeln.

... wenn ein Kind, eine Jugendliche oder ein Jugendlicher dir von sexuellen Übergriffen, Misshandlungen oder Vernachlässigungen erzählt?

Im Moment der Mitteilung:

  • Wenn sich dir ein Kind anvertraut, nimm es ernst. Versichere ihm/ihr, dass er/sie keine Schuld an dem Vorfall trägt. Ergreife zweifelsfrei Partei für das Kind. Verwende keine „Warum“-Fragen, diese lösen leicht Schuldgefühle aus.
  • Signalisiere, dass das Kind über das Erlebte sprechen darf, aber dränge es nicht und frage es nicht aus. Respektiere Widerstände, entwickle keinen Forscherdrang.
  • Verwende „Als-ob-Formulierungen“: „Du wirkst auf mich, als ob…“.
  • Ermutige das Kind, sich dir mitzuteilen. Versichere, dass du das Gespräch vertraulich behandelst, aber erkläre auch, dass du dir Rat, Unterstützung und Hilfe holen wirst.
  • Wenn ein Kind dir von einer kleineren Grenzüberschreitung erzählt, reagiere nicht mit „ach, das macht doch nichts“ oder ähnlichem, sondern nimm das Kind ernst und höre ihm/ihr zu. Kinder erzählen zunächst nur einen kleinen Teil dessen, was ihnen widerfahren ist. Vermittle der/dem Betroffenen, dass du es aushältst, wovon sie/er dir erzählt. Wenn Kinder oder Jugendliche spüren, dass sie bei dir große Angst, Panik, Bestürzung oder übermäßige Betroffenheit auslösen, haben sie oft das Gefühl dich zu überfordern und ziehen sich dann wieder zurück.
  • Versichere, dass du nichts unternehmen wirst, ohne es mit ihm/ihr und deiner Vertrauensperson abzusprechen.
  • Respektiere Grenzen. Übe keinen Druck aus, auch keinen Lösungsdruck.
  • Gib keine Versprechen, die du nicht einhalten kannst (z. B. niemandem davon zu erzählen).

Im Anschluss an die Mitteilung:

  • Halte das Gespräch, die Fakten und die Situation schriftlich fest. Vermeide dabei eigene Interpretationen.
  • Achte darauf, dass keine Verdachtsmomente zum potentiellen Täter/zur potentiellen Täterin vordringen, denn er oder sie könnte das Kind daraufhin verstärkt unter Druck setzen.
  • Die Unschuldsvermutung muss auch in einem solchen Fall für eine Verdächtige/einen Verdächtigen gelten. So uneingeschränkt verwerflich eine solche Tat auch ist, so schwerwiegend ist es, einen Menschen unberechtigt oder voreilig diesem Verdacht auszusetzen. Damit können ganze Biographien zerstört werden, weil es fast unmöglich ist, einen solchen öffentlich gemachten Verdacht noch einmal gänzlich auszuräumen.
  • Stelle sicher, dass sich das betroffene Kind durch Folgemaßnahmen nicht ausgegrenzt oder bestraft fühlt (z.B. durch eine Sonderbehandlung, Heimschicken, etc.).
  • Behandle das Gespräch vertraulich. Erzähle nur denjenigen davon, bei denen es wichtig ist.
  • Nimm Kontakt auf zu einer Vertrauensperson und/oder zu einer Fachberatungsstelle. Du solltest dich zunächst beraten lassen, ohne der Fachstelle den Namen des betroffenen Kindes zu nennen.
  • Biete dich weiter als Vertrauensperson für das Kind an und begleite das Kind/den Jugendlichen in eine Fachberatungsstelle oder sorge für eine andere für das Kind/den Jugendlichen vertrauensvolle Begleitung².
  • Erkenne und akzeptiere deine eigenen Grenzen und Möglichkeiten.

Auf keinen Fall solltest du ..

  • ... die Eltern der/des Betroffenen gegen den Willen des Kindes oder Jugendlichen informieren,
  • ... die mutmaßliche Täterin oder den mutmaßlichen Täter informieren,
  • ... ein gemeinsames Gespräch mit Betroffenen und mutmaßlichen Täterin/mutmaßlichem Täter initiieren,
  • ... nicht unbedacht die Polizei oder eine Behörde einschalten. Sobald die Polizei oder eine behördliche Einrichtung den Namen der Beteiligten erfährt, hat sie eine Ermittlungspflicht. Das kann den Betroffenen unter Umständen mehr schaden als ihnen helfen³.
  • ... selbst versuchen, den Verdacht auf Kindeswohlgefährdung gezielt und systematisch abzuklären bzw. aufzudecken.

... im Verdachtsfall?

  • Wieder lautet die Devise: Ruhe bewahren, nichts überstürzen!
  • Überlege, woher deine Vermutung bzw. der Verdacht kommt. Schreibe Anhaltspunkte für den Verdacht auf. (Verdachtstagebuch!)
  • Frage eine andere Person, der du vertraust, ob sie deine Wahrnehmung teilt.
  • Konfrontiere auf keinen Fall den vermutlichen Täter oder die vermutliche Täterin, denn er/sie könnte das vermutete Opfer unter Druck setzen.
  • Wenn sich dein Verdacht erhärtet, nimm Kontakt auf zu einer Vertrauensperson und/oder zu einer Fachberatungsstelle. Du solltest dich zunächst beraten lassen, ohne den Namen des betroffenen Kindes zu nennen 4.
  • Auch hier gilt wieder auf keinen Fall die Familie oder die Polizei zu informieren, wenn das nicht mit einer Vertrauensperson und/oder der Fachberatungsstelle und dem betroffenen Kind abgeklärt ist.

... bei einem akuten Vorfall?

  • Ganz wichtig: Ruhe bewahren! Überstürzte Aktionen können die Situation noch verschlimmern. Unternimm nichts auf eigene Faust!
  • Wirst du als Person ins Vertrauen gezogen, kannst du selbst in eine persönlich belastende Situation geraten.
  • Erkenne und akzeptiere deine Grenzen und Möglichkeiten. Tue nichts, was du dir nicht zutraust. Nimm Kontakt mit der Vertrauensperson der Kolpingjugend in deiner Diözese und/oder einer Fachberatungsstelle auf (in diesem Fall sollte die Vertrauensperson dennoch zumindest im Nachgang informiert werden). Nur bei akuten Notfällen musst du den tatsächlichen Namen des Kindes weitergeben.
  • Sollte sich das Kind, der/die Jugendliche in einer aktuell bedrohlichen Situation befinden, sofort den Kindernotdienst bzw. das Jugendamt anrufen 5 und die Vertrauensperson der Kolpingjugend in deiner Diözese informieren!
  • Bei einem akuten Vorfall von Gewalt/Vergewaltigung: ruf eine (Not)Ärztin/einen (Not-) Arzt und nach Absprache mit dieser/diesem und nur auf Wunsch des Opfers auch die Polizei. Damit sind die Erstversorgung und die Beweissicherung gewährleistet. Zudem informiere die Vertrauensperson.

... bei einer vermutlichen Täterin oder einem vermutlichen Täter in den eigenen Reihen

  • Ganz wichtig: Ruhe bewahren!
  • Überlege dir, woher kommt deine Vermutung oder dein Verdacht kommt und schreibe die Anhaltspunkte für den Verdacht auf.
  • Dokumentiere deine Beobachtungen in einem Verdachtstagebuch.
  • Frage eine andere Person, der du vertraust, ob sie deine Wahrnehmung teilt.
  • Nimm Kontakt mit einer Vertrauensperson und/oder einer Fachberatungsstelle auf und sprich das weitere Vorgehen mit ihr ab.
  • Erzähle deine Verdächtigung nur denjenigen, bei denen es wichtig ist.
  • Die Unschuldsvermutung muss auch in einem solchen Fall für eine Verdächtige/einen Verdächtigen gelten. So uneingeschränkt verwerflich eine solche Tat auch ist, so schwerwiegend ist es, einen Menschen unberechtigt oder voreilig diesem Verdacht auszusetzen. Damit können ganze Biographien zerstört werden, weil es fast unmöglich ist, einen solchen öffentlich gemachten Verdacht noch einmal gänzlich auszuräumen 6.
  • Wenn ein begründeter Verdacht besteht, sollte die Leiter/innentätigkeit ruhen bis der Verdacht geklärt ist.
  • Grundsätzlich gilt, dass Täterinnen und Täter nie freiwillig ihre Handlungen einstellen, auch nicht, wenn sie es versprochen haben. Eine weitere Mitarbeit ist um ihrer selbst und der anderen willen nicht möglich.

Auf keinen Fall solltest du ...

  • ... vorzeitig die verdächtige Person informieren oder versuchen, die Täterin/den Täter selbst zur Rede zu stellen.
  • ... ein gemeinsames Gespräch mit Betroffenen und mutmaßlichen Täterin/mutmaßlichem Täter initiieren.
  • ... sofort die Polizei oder eine Behörde einschalten. Sobald die Polizei oder eine behördliche Einrichtung den Namen der Beteiligten erfährt, hat sie eine Ermittlungspflicht. Das kann den Betroffenen unter Umständen mehr schaden als ihnen helfen 7.
  • ... selbst versuchen, den Verdacht auf Kindeswohlgefährdung gezielt und systematisch abzuklären bzw. aufzudecken.

Und jetzt will auch die Presse etwas wissen:

  • Es gibt nur eine Person, die öffentlich auftritt - diese Verantwortung liegt nicht bei dir!
  • Wende Dich an Dein Diözesanbüro der Kolpingjugend, den BDKJ Diözesanverband oder die Pressestelle des Kolpingwerkes Deutschland. Von dort erfährst du auch, welche Infos an die Öffentlichkeit gehen. Es wird eine Pressemitteilung erstellt, auf die du dann verweisen kannst.

Mit großer Mehrheit und 6 Enthaltungen angenommen.

¹ Vgl. BDKJ Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V. (Hrsg.): Kinder schützen. Eine Information für Gruppenleiter/innen verbandlicher Jugendgruppen, Düsseldorf/Münster 2007, S. 17.

² Vgl. BDKJ im Erzbistum Berlin und Erzbischöfliches Amt für Jugendseelsorge (Hrsg.): Was tun bei (Verdacht auf) Kindesmisshandlung, sexueller Gewalt oder Vernachlässigung. Merkblatt für ehrenamtliche und berufliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kinder- und Jugendpastoral, Berlin ³2010, S. 5.

³ Vgl. Bundesleitung des VCP (Hrsg.): AKTIV! Gegen sexualisierte Gewalt. Die Selbstverpflichtung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im VCP zur Prävention sexualisierter Gewalt, Kassel 2010.

4 Vgl. BDKJ im Erzbistum Berlin und Erzbischöfliches Amt für Jugendseelsorge (Hrsg.): Was tun bei (Verdacht auf) Kindesmisshandlung, sexueller Gewalt oder Vernachlässigung, S. 6.

5 Vgl. ebd.