Die Corona-Pandemie stellt die junge Generation vor außergewöhnliche Herausforderungen. Für sie bedeutet die Krise eine Einschränkung ihrer Lebenschancen, weil die Konsequenzen ein Leben lang wirken. Die Kolpingjugend fordert daher die Verantwortlichen in der Politik und im (Aus-)Bildungswesen auf, die langfristigen Folgen der Pandemie stärker in den Blick zu nehmen, damit die Pandemie keine Narben bei der Jugend bildet. Es müssen jetzt auf die jeweiligen Personengruppen zugeschnittene Lösungen auf den Weg gebracht werden, damit aus dieser Krise keine benachteiligte Generation hervorgeht.

Herausforderungen für Schüler*innen
Im Zuge der Corona-Pandemie steht das Bildungswesen in Deutschland Kopf. Wochenlang waren die Schulen in Deutschland geschlossen, ist Unterricht ausgefallen und Schüler*innen mussten sich selbstständig außerhalb der Klasse auf ihre (Abschluss-)Prüfungen vorbereiten. Wann und wie Unterricht und Prüfungen wieder stattfinden würden, war lange Zeit völlig unklar. Planungssicherheit gibt es auch jetzt noch nicht. Dies betrifft das gesamte Bildungswesen, hier auch die Träger der freien Jugendhilfe (z. B. Jugendverbände), die von heute auf morgen ihre für die jungen Menschen so wichtigen Angebote außerschulischer Bildung aussetzen mussten.

Dass Deutschland die Digitalisierung verschlafen hat, hat die Corona-Pandemie extrem deutlich gemacht. Vielerorts fehlen digitale Infrastrukturen, Online-Lernangebote und entsprechende didaktische Konzepte. Schüler*innen
und Lehrer*innen waren weitgehend auf sich allein gestellt. Die Grenzen der plötzlichen und unvorbereiteten Umstellung auf digitalen Unterricht wurden dabei schnell deutlich: Nicht alle jungen Menschen und auch Lehrer*innen sind von Haus aus mit den nötigen Geräten, der entsprechenden Infrastruktur und der Digitalkompetenz für einen funktionierenden digitalen Unterricht ausgestattet. Nicht alle jungen Menschen haben zu Hause ein Lernumfeld, das ihre Konzentration fördert und ein familiäres Umfeld, das sie unterstützt. Auch das schränkt die Bildungschancen vieler junger Menschen enorm ein. Es ist zu erwarten, dass sich bereits bestehende Ungleichheiten der Bildungschancen weiter verschärfen werden.

Im Umgang mit den Herausforderungen der Corona-Pandemie haben sich auch die Schwächen des föderalen Bildungssystems offenbart. Der Bund soll zahlen, darf aber nicht eigenständig ohne die Länder entscheiden und die umständlichen Verwaltungsabläufe führen letztlich zu Engpässen bei den Betroffenen, die viel zu lange auf dringend notwendige Unterstützung warten müssen. Die Pandemie hat deutlich gemacht, dass das zersplitterte föderale Bildungssystem dringend reformbedürftig ist.

Die Kolpingjugend fordert, dass diesen Erkenntnissen nun auch Taten folgen:

  • Wir fordern, dass aktive Pädagog*innen aller Altersstrukturen im Zuge einer gesamtdeutschen Bildungsreform eingebunden werden, damit die ausgearbeiteten Regelungen nicht nur in der Theorie funktionieren. Darüber hinaus muss in einer Reform auch die essentielle außerschulische Bildung für die jungen Menschen mitgedacht werden.
  • Wir fordern, dass Lehrer*innen besser digital geschult werden und digitale Infrastrukturen in Schulen ausgebaut werden. Insbesondere muss die Entwicklung der Bildungsplattformen vorangetrieben und datenschutzkonforme Kommunikation zwischen allen Beteiligten sichergestellt werden.
  • Alle Schüler*innen müssen Zugang zu einem mobilen Endgerät, wie einem Notebook, Tablet oder Smartphone erhalten. Für alle Schüler*innen sollte die Anschaffung eines solchen Geräts in den Sozialleistungen enthalten sein.
  • Wir fordern eine bessere Unterstützung von benachteiligten Kindern und flexible Lösungen für die weitere Bildungslaufbahn der Schüler*innen. Wir fordern mehr Pädagog*innen und mehr Räume, um kleinere
    Klassen zu bilden und die Kinder angemessen unterrichten zu können. Besonders Schüler*innen mit Förderbedarf, für die Homeschooling in derselben Form gar nicht stattfinden kann und die besondere Unterstützung
    bedürfen, geraten in der öffentlichen Diskussion häufig aus dem Blick.
  • Neben aller Notwendigkeit der Digitalisierung darf nicht vergessen werden, dass manche Lerninhalte nicht digital vermittelt werden können. Dies bedeutet zum einen, dass Möglichkeiten gefunden werden müssen,
    sensible Themen (z.B. Tod und Trauer in Religion oder Sexualkunde in Biologie) zu unterrichten. Zum anderen bedeutet es auch, Möglichkeiten zu finden, dass Schüler*innen Zugang zu notwendigem Material (z.B. Schreiblernhefte oder Lektüre) erhalten.
  • Wir fordern, dass Nachteile, die Schüler*innen aus der derzeitigen Situation heraus für ihre künftige Bildungslaufbahn entstehen, systematisch ausgeglichen werden. Weitere längerfristige Unterrichtsausfälle rufen für
    die Bildungschancen junger Menschen gravierende Konsequenzen hervor. Daher müssen krisensichere Strukturen und Konzepte entwickelt werden, um auch unter besonderen Umständen Bildung für Kinder und Jugendliche gewährleisten zu können.

Die Kolpingjugend appelliert, dass das Recht auf Bildung jederzeit gewahrt werden muss.

Maßnahmen für Auszubildende
Auszubildende werden derzeit vor massive Herausforderungen gestellt. Viele mussten ihre Arbeit aufgrund von Betriebsschließungen wochenlang unterbrechen und Berufsschulen haben den Präsenzunterricht ausgesetzt und Prüfungen verschoben. Seit Monaten sind tausende Auszubildende im Ungewissen. Sie wissen nicht, wann und wie ihre Prüfungen in Zukunft wieder stattfinden können, wie es mit ihrer Ausbildung weitergeht oder wie es um ihre Übernahmechancen steht.

Auch für Schulabgänger*innen auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz ist die Situation zurzeit schwierig. Berufsmessen, Schulbesuche oder Tage der offenen Tür sind reihenweise ausgefallen. Bei den Handwerkskammern wurden zwischen Januar und Mai 18,3 % weniger Ausbildungsverträge als im Vorjahr eingetragen. In einer Umfrage des Zentralverbands des Deutschen Handwerks gab gut ein Viertel der Betriebe an, in diesem Herbst weniger Auszubildende einstellen zu wollen als im Vorjahr. Unternehmen, die noch bis vor kurzem dringend Auszubildende gesucht haben, kürzen jetzt Ausbildungsplätze.

Um den Bedarf an qualifizierten Fachkräften langfristig zu sichern, hat die Bundesregierung deshalb ein Konjunkturpaket über 500 Millionen Euro aufgesetzt, dass klein- und mittelständische Unternehmen bezuschusst.¹ Die Kolpingjugend begrüßt diese Ausbildungs-Initiative, denn es muss das Ziel sein, jeden Ausbildungsplatz zu erhalten und ausreichend neue für angehende Fachkräfte zu schaffen. Ob die Maßnahmen des Konjunkturpakets jedoch reichen, um Betriebe zu motivieren und Auszubildende sowie Suchende in ihrer prekären Situation zu unterstützen, muss sich noch beweisen. Eine Reduzierung von Ausbildungsplätzen verschärft außerdem die soziale Ungleichheit im Land, denn häufig trifft dies vor allem Abgänger*innen ohne (Fach-)Hochschulreife.

Die Kolpingjugend fordert deshalb:

  • Es muss verhindert werden, dass die Fachkräftelücke in den nächsten Jahren größer wird. Wir appellieren an die Politik und an Unternehmen, dass der Abbau von Ausbildungsplätzen unbedingt verhindert werden muss. Es müssen jegliche Maßnahmen ergriffen werden, damit alle Ausbildungen weitergeführt und beendet werden können. Niemand darf aufgrund der Krise seinen Ausbildungsplatz verlieren.
  • Die Bundesregierung muss ganz genau prüfen, ob das Konjunkturpaket die geplante Wirkung erzielt. Es wäre ein fataler Fehler, jetzt nicht weiter in die Zukunft zu investieren. Angesichts ungewisser wirtschaftlicher Aussichten besteht die Gefahr, dass in den nächsten Jahren deutlich weniger Betriebe und Unternehmen ausbilden, als dies bisher der Fall gewesen ist. Um zu verhindern, dass es zu einer Lücke im Ausbildungsmarkt kommt, ist in den kommenden zwei Jahren ein massiver Ausbau staatlich geförderteru bürokratiearmer Ausbildungsplätze notwendig.

Anliegen von Student*innen
Viele Student*innen trifft die Corona-Pandemie hart. Ein Drittel aller Studierenden ist darauf angewiesen, neben dem Studium zu arbeiten. Viele sind im Einzelhandel, in der Gastronomie oder im Eventbereich tätig und haben im Zuge der Schließungen von einem auf den anderen Tag ihren Job verloren. Auf private Rücklagen können die wenigsten zurückgreifen. In der Krise mussten zehntausende Studierende Schulden aufnehmen oder staatliche Hilfen beantragen, weil sie plötzlich und unverschuldet in finanzielle Schwierigkeiten gekommen sind. Die Antwort der Bundesregierung auf die finanziellen Nöte vieler Studierender ist mehr als unbefriedigend: Erst im Mai hat sich die Bundesregierung dazu durchgerungen, Studienkredite der KfW zinsfrei zu vergeben. Viele Studierende sind zu dieser Zeit bereits in starke finanzielle Not geraten. Jetzt müssen sie Schulden aufnehmen, um über die Runden zu kommen. Im Mai gingen bei der KfW mehr als 22.000 Anträge auf Studienkredite ein, Tendenz steigend. Wer keine Schulden aufnehmen möchte, kann versuchen eine staatliche Überbrückungshilfe zu beantragen.
Aber auch diese gibt es erst seit Juni. Der Prozess zur Beantragung sowie zur Bewilligung der Mittel ist unangemessen und intransparent.²

Diese Situation ist nicht tragbar! Die Corona-Staatshilfen kamen für viele Studierende zu spät oder gar nicht. Die Kolpingjugend fordert deshalb:

  • Studierende, die unverschuldet in Not geraten sind, müssen auf einfache und schnelle Art und Weise einen Zuschuss für ihren Lebensunterhalt bekommen können.
  • Es braucht mehr unkomplizierte finanzielle Hilfen zur direkten Unterstützung Studierender. Diese dürfen nicht zu einer Mehrbelastung für Studierende werden. Finanzielle Hilfen dürfen deshalb nicht als Kredite vergeben werden, sondern müssen Zuschüsse sein.
  • Wir fordern außerdem eine vorübergehende Öffnung des BAföG für Studierende, die durch Corona ihren Job verloren haben und bisher keinen Anspruch hatten und für diejenigen, die aufgrund der Pandemie die Regelstudienzeit nicht einhalten können.

Bewährungsprobe für junge Menschen in der Arbeitswelt
Im Arbeitsleben sind junge Menschen von der Krise nachweislich stärker betroffen als ältere Menschen. Aus Statistiken der Bundesagentur für Arbeit geht hervor, dass im Juni rund 277.000 Menschen unter 25 Jahren arbeitslos
waren – das sind gut 43 Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor und der mit Abstand höchste Anstieg unter allen Altersgruppen. Zwar zeigt eine Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im ersten
Quartal 2020, verglichen mit dem letzten Quartal 2019, noch keine Entlassungen, aber einen Rückgang von mehr als 300.000 Stellenausschreibungen. Wer aktuell auf Jobsuche ist, konkurriert plötzlich mit vielen anderen um deutlich weniger Stellen. Zahlreiche laufende Bewerbungsprozesse wurden abgesagt oder Stellen lieber intern besetzt. Gleichzeitig besteht für junge Menschen unter 30 Jahren eine größere Gefahr, ihre Stelle zu verlieren, als in anderen Altersgruppen, da sie sich häufiger als Ältere in atypischen Beschäftigungsformen befinden – befristete Verträge, Zeitarbeit, Teilzeit.

Dazu kommt, dass viele Unternehmen Kurzarbeit angemeldet haben. Schon im März lag die Inanspruchnahme von Kurzarbeit weit über dem Niveau der Krise 2008/2009. Bevor Unternehmen wieder in größerem Stil einstellen werden, ist anzunehmen, dass sie zunächst intern ihre Kapazitäten wieder hochfahren und Angestellte aus der Kurzarbeit zurückholen werden.

Um dramatische Langzeitfolgen wie eine hohe Jugendarbeitslosigkeit oder einen Scarring-Effekt³ zu vermeiden, muss jetzt mehr für die junge Generation getan werden. Es darf keine Generation Corona geben. Wie groß die Auswirkungen für die jungen Menschen wirklich sein werden, hängt auch davon ab, wie gut das Konjunkturpaket wirkt.

Beschlossen durch die Bundeskonferenz der Kolpingjugend am 27. September 2020.

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¹ Ab August können Unternehmen 2.000€ für jeden Ausbildungsplatz bekommen, der erhalten wird und 3.000€ für jeden Ausbildungsplatz, den sie zusätzlich einrichten. Zudem soll es Prämien geben, wenn Unternehmen Auszubildenden in insolventen Betrieben die Fortsetzung ihrer Ausbildung ermöglichen und diese übernehmen.
² Um sie zu bekommen, müssen Studierende umfangreich nachweisen, dass sie durch Corona in finanzielle Not geraten sind und bekommen dann, wenn sie Glück haben, für einen Monat 100 bis 500€. Allein im Juni wurden rund 82.000 Anträge gestellt – wovon jedoch nur die Hälfte gebilligt wurde. Für die Ablehnung werden keine Gründe angegeben. Unterlagen können nicht nachgereicht werden und eine rückwirkende Beantragung ist auch nicht möglich. Um den maximal möglichen Zuschuss von 500€ zu bekommen, muss der Kontostand zum Zeitpunkt der Antragstellung nachweislich weniger als 100€ betragen. Das Geld für die nächste Miete sollte also besser schon abgebucht oder gar nicht mehr vorhanden sein.
3 Man spricht von einem Scarring-Effekt („Narbenbildung“), wenn sich bei junge Menschen aufgrund längerer Arbeitslosigkeit zu Beginn ihres Berufslebens oder durch schlechtere Konditionen (z. B. niedriges Gehalt) zu Beginn ihrer Erwerbskarriere eine Wohlstandslücke bildet.