Wir stehen für ein Wir

Positionierung der Kolpingjugend zum Wahljahr 2017 gegenüber dem Grundsatzprogramm der AfD

Wir verfolgen die politischen Entwicklungen in den Ländern, im Bund und in Europa sehr aufmerksam. Mit Blick auf die anstehenden Wahlen stellen wir uns gegen den aufgekommenen Rechtspopulismus. In unserer Demokratie werden die Errungenschaften einer freien Religionsausübung, einem offenen Europa und einem respektvollen Umgangston frei von Menschenverachtung zunehmend in Frage gestellt. Rechtspopulistische Haltungen sind für uns nicht akzeptabel.

Hierzulande, aber auch in ganz Europa, entwickeln sich seit geraumer Zeit gesellschaftliche Strömungen, die auf politischer Ebene in Deutschland durch die AfD in der Öffentlichkeit auftreten. Wir wollen nicht, dass rechtes Gedankengut in der Mitte unserer Gesellschaft „salonfähig“ wird.

Die Kolpingjugend steht für Nächstenliebe, Vielfalt und Gemeinschaft

Wir setzen uns für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen, unabhängig von Herkunft oder Religion ein. Unsere Haltung gründen wir auf christliche Werte, dem Leitbild des Kolpingwerkes Deutschland und den Positionen der Kolpingjugend Deutschland. Wir wollen Nächstenliebe, Vielfalt und Gemeinschaft erlebbar machen. Ebenso leitend für unser Handeln und menschliches Zusammenleben sind die Prinzipien der Katholischen Soziallehre: Solidarität, Personalität und Subsidiarität.¹

Das bedeutet für uns konkret, jeden Menschen in seiner Einzigartigkeit anzunehmen, jeden Menschen mit seinen Potentialen und Talenten zu betrachten und jeden Menschen als Geschöpf Gottes anzuerkennen.

Die Kolpingjugend steht für freie Religionsausübung in Deutschland

Jeder Mensch ist frei, seinen Glauben zu wählen und hat das Recht dazu, diesen ungehindert auszuleben. Dialoge zwischen den Religionen verstehen wir als Bereicherung für das gesellschaftliche Zusammenleben und als eine Basis für Inklusion.

Der Islam ist in Deutschland angekommen und hat das gleiche Recht, sich zu entwickeln, wie es dem Christentum zusteht. Dazu gehören auch die Förderung der Wissenschaftlichkeit von Islamischer Theologie, sowie die Ausbildung islamischer Religionslehrerinnen und -lehrer sowie Imame nach deutschen Standards auszugestalten. Religiöse Bildung ist ein weiterer Schlüssel zur Förderung von Inklusion.

  • Die grundsätzliche Diskussion um die Verleihung des öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus² für eine islamische Religionsgemeinschaft verstehen wir nicht, wie die AfD, als Machtgerangel mit christlichen Kirchen, sondern als legitime Forderung, die nach deutschem Recht zu prüfen ist.
  • Die AfD zeichnet in ihrem Grundsatzprogramm ein Bild der islamischen Machtstärkung gegenüber ursprünglich kirchlicher Privilegien und christlicher Kultur. Auf gesellschaftlicher Ebene sieht sie die Grundsätze unserer Werteordnung, die Gesellschaft und den Staat durch die stetig wachsende Zahl von Muslimen in großer Gefahr. Im Grundsatzprogramm wird diese Gefahr durch die Radikalisierung einiger Muslime, die Bildung von Parallelgesellschaften und der fehlenden Akzeptanz unserer Rechtsordnung im Gegensatz zur Scharia begründet.

Wir teilen diese Ängste nicht und nehmen vielmehr wahr, dass die AfD Ängste und Vorurteile einiger Menschen ausnutzt, um für ihr Weltbild zu werben. Aus einer christlichen Haltung heraus bedarf es einer differenzierten Auseinandersetzung mit der Stellung des Islam in Deutschland und mit muslimischen Mitmenschen, um unseren Vorstellungen einer freiheitlich demokratischen Gesellschaftsordnung gerecht zu werden. Pauschale Verurteilungen lehnen wir ab.

Die Kolpingjugend heißt Menschen willkommen

Adolph Kolping hat sich dafür eingesetzt, dass wandernde Menschen nicht auf Ablehnung stoßen. Er hat dafür gesorgt, dass Menschen in der Fremde eine Heimat und Ansprechpartner finden. Wir setzen uns auch heute dafür ein, dass im Sinne der Personalität, der Mensch im Mittelpunkt steht und sich sein Wert nicht ausschließlich über seine wirtschaftliche Produktivität bemisst.

Für uns bedeutet das, dass nicht nur Menschen willkommen sind, die in ihren Herkunftsländern um Leib und Leben fürchten müssen, sondern auch Menschen, die aus einer Notlage heraus ihr Herkunftsland verlassen. Menschen pauschal oder voreilig „Asylmissbrauch“ zu unterstellen, halten wir für unangemessen.

Darüber hinaus wird mit verschiedenen Projekten gezeigt, wie Willkommenskultur in unserm Verband gelebt wird und wie eine Begegnung von Menschen auf Augenhöhe angstfrei, vorurteilsfrei und wertschätzend möglich ist. Wir erkennen neben unserer gesellschaftlichen Verantwortung hier in Deutschland auch unsere internationale Verantwortung, Menschen in ihren Herkunftsländern beim Aufbau von menschenwürdigen Lebensbedingungen zu unterstützen.

  • Die AfD unterscheidet in ihrem Grundsatzprogramm zwischen Flüchtlingen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen und Immigrant_innen, die wirtschaftliche oder andere Motive verfolgen. Die Unterscheidung von Asyl und Migration wird im Grundsatzprogramm insbesondere mit dem Thema „Asylmissbrauch“verknüpft.
  • Große Befürchtungen sieht die AfD laut Grundsatzprogramm vor allem in der Ausnutzung des deutschen Sozialsystems, das zur Einwanderung anreize und ausgenutzt werde.

Die AfD zeichnet ein Bild einer unvorstellbaren Masse an Menschen, die gen Europa ziehen und sieht damit unseren Wohlstand gefährdet. Von diesen Ängsten und Befürchtungen kann in unserer gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation keine Rede sein.

Die Kolpingjugend steht für ein offenes und starkes Europa

„Die Europäische Union ist die bedeutendste Errungenschaft, um den Frieden in Europa zu sichern. Der Erhalt und Schutz dieser Union muss das Ziel aller Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger in Europa sein.“³ Mit dieser Vorstellung von Europa wollen wir unser Zusammenleben in Deutschland gestalten.

In der Haltung der AfD in ihrem Grundsatzprogramm sind die wichtigen Prinzipien von Solidarität und Subsidiarität gegenüber Europa gefährdet.

Eine Rückverlagerung von Kompetenzen in der Außen-, Sicherheits-, Entwicklungspolitik und in der Bekämpfung von Fluchtursachen ist für eine subsidiär organisierte Europäische Union schädlich. Nur in gemeinsamer Verantwortung kann effizient agiert werden.(4)

Der Ruf nach Regelungen zur Einwanderung in die EU und nach Deutschland ist im Grundsatz positiv zu bewerten. Eine Regulierung von Einwanderung kann dennoch nicht, wie gefordert, ausschließlich nach ökonomisch-leistungsorientierten Kriterien erfolgen. Das Prinzip der Solidarität verlangt es ebenso, Schwache zu unterstützen.

Die AfD tritt in ihrem Grundsatzprogramm für ein verändertes Europa ein. Im Kern will sie die Europäische Union wieder zu einer Wirtschaftsgemeinschaft zurückführen. Der Euro wird als gescheitertes Experiment beschrieben, das es geordnet zu beenden gelte. Kompetenzen der Außenpolitik sollen im Verantwortungsbereich der Nationalstaaten bleiben.

Diese Vorstellungen von europäischem Zusammenleben sind für uns keine Perspektiven für die Zukunft Europas. Die Behauptung, ausschließlich Sozialhilfeempfänger_innen wandern aus anderen EU-Staaten nach Deutschland ein, stimmt mit der Realität nicht überein.

Die Kolpingjugend steht für Geschlechtervielfalt

Jeder Mensch ist in seiner Ebenbildlichkeit Gottes einzigartig und darf nicht auf Grund seiner Sexualität oder seines Geschlechtes diskriminiert werden. Dazu zählt, Kindern und Jugendlichen altersgemäß und nah an ihrer Lebenswirklichkeit orientiert aufzuzeigen, was sexuelle Vielfalt bedeutet, sowohl gegenüber der eigenen Geschlechtsidentität, als auch in der sexuellen Ausrichtung. Kinder und Jugendliche sollen zeitgemäß, bedürfnisorientiert und verantwortungsbewusst sexuell aufgeklär twerden. Das Aufbrechen von traditionellen Rollenbildern lässt freie Entfaltung von Kindern und Jugendlichen zu.

Wir unterstützen die Weiterentwicklung der deutschen Sprache hinsichtlich geschlechtersensibler oder geschlechtsspezifischer Anpassungen, soweit es praktikabel ist.

Die AfD versteht unter dem Thema „Gendermainstreaming“ und „Genderideologie“ eine Auseinandersetzung um den Sexualunterricht in der Schule, der über die Vermittlung traditioneller Rollen-und Familienbilder hinaus gehe sowie die „Verunstaltung der deutschen Sprache“. Beiden Themen werden „pseudowissenschaftliche Studien“ und Widersprüche zu Naturwissenschaft und Entwicklungspsychologie vorgeworfen. Besondere Sorge gelte den Kindern und Jugendlichen, die in ihrer sexuellen Identität gestört werden könnten.

Die AfD fordert in ihrem Grundsatzprogramm die Freiheit von Forschung und Lehre. Dabei widerspricht sich die AfD selbst, indem sie die eingeforderte Freiheit durch die Aberkennung der Genderforschung als wissenschaftlich fundiertes Forschungsgebiet einschränkt.

Die Kolpingjugend ist gegen die Wiedereinsetzung des verpflichtenden Wehrdienstes

Die AfD fordert die Wiedereinführung des verpflichtenden Grundwehrdienstes für alle männlichen deutschen Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 25 Jahren. Verweigerer sollen einen Wehrersatzdienst leisten. Frauen seien vom Pflichtwehrdienst ausgeschlossen, haben aber die Möglichkeit freiwillig der Bundeswehr zu dienen, wie es zurzeit auch schon möglich ist. Hauptargument ist die Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Deutschlands.

Wir sind gegen eine solche Wiedereinsetzung des Wehrdienstes. Zu Grunde liegen hier zum einen die Haltung eines jeden Einzelnen zum Dienst an der Waffe und zum anderen die freiheitliche Entscheidung zur beruflichen Bildung nach der Schule. Ferner sehen wir eine Diskriminierung von jungen Männern, die verpflichtend ein Jahr für die Zeit ihrer Berufsausbildung verlieren. Diese Ungleichbehandlung von Mann und Frau darf gar nicht erst ermöglicht werden.

Die freiheitlich-demokratische Grundordnung lässt sich nicht ausschließlich über den verpflichtenden Wehrdienst verteidigen. Politik, Gesellschaft, und Sozialverbände, zu denen auch die Kolpingjugend zählt, sehen wir hier in der Verantwortung, unsere Demokratie zu festigen und zu gestalten.

Die Kolpingjugend ruft junge Wähler_innen auf, ihr Wahlrecht zu nutzen.

Wir nehmen wahr, dass sich die AfD Frust in Teilen der Bevölkerung zu Nutze macht, um unzufriedene Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren. Die Kolpingjugend bietet Jugendlichen umfassende Informationen und Möglichkeiten zur Beteiligung an Politik und zur Vorbereitung auf die Wahlen. Dadurch wollen wir auch der Stimme der jungen Wählerinnen und Wähler Gehör verleihen. Die Parteienlandschaft bietet ein weites Spektrum, das eine sachliche Wahlentscheidung ermöglicht. Niemand sollte dem Populismus nachgeben und damit seine Stimme für die AfD abgeben.

Darüber hinaus werden sich die Gliederungen der Kolpingjugend, besonders im Wahljahr 2017, in die politische Debatte einbringen und gegen menschenfeindliche, einzelne Bevölkerungsgruppen diskriminierende Haltungen sowie gegen Hass und Hetze aktiv Stellung beziehen.

Beschlossen durch die Bundeskonferenz

Münster, 19. März 2017


¹ Begriffserklärung (nach LTHK, 2006): Personalität sieht den Menschen als Ebenbild Gottes und Träger, Schöpfer und Ziel gesellschaftlicher Einrichtungen. Als Ebenbild Gottes kommt dem Mensch eine zu schützende Würde zu. Er ist einmalig und wegen seiner Individualität von Gott gewollt. Dieses Menschenbild ist die Basis für jedes menschliche Handeln. Subsidiarität: Beschreibt das gesellschaftliche Zusammenwirken von Verbänden und Politik. Eine Gesellschaft funktioniert am besten, wenn die Angelegenheiten nach Möglichkeit auf der untersten Ebene einer Gesellschaft geklärt werden. Höhere Instanzen sollen erst bei Problemen auf der untersten Ebene hinzugezogen werden.

² Begriffserklärung „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ (nach BMI, Körperschaftsstatus): Alle religiösen und weltanschaulichen Gruppierungen, die auf Dauer angelegt sind, können in Deutschland den Körperschaftsstatus nach Antragsstellung erwerben. Dieses Recht gilt seit der Weimarer Reichsverfassung von 1919. Mit dem Status verleiht der Staat den Gemeinschaften verschiedene Privilegien (z.B. Mitwirkung in öffentl. Gremien und Einrichtungen, Steuervorteile), um deren Religionsausübung zu erleichtern und mit ihnen zu kooperieren.

³ Position „Mehr Europa ist die Lösung“ der Kolpingjugend Deutschland auf http://www.kolpingjugend.de/service/news/news-details/55-mehr-europa-ist-die-loesung/ , S.1, Stand: 25.10.2016.

(4) Position „Mehr Europa ist die Lösung“ der Kolpingjugend Deutschland, Abschnitt „Europa ist eine Friedensmacht“, „Europa braucht starke Akteure“, S.1f.3, Stand: 25.10.2016