Die Diskussion um #FreeInterrail zeigt: Der größte Profiteur wäre die EU selbst
"Die Europäische Union hat unser Leben zum Besseren gewendet. Wir müssen nun dafür sorgen, dass dies auch für diejenigen so bleibt, die nach uns kommen.“
Mit diesen Worten hat Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kürzlich sein Weißbuch zur Zukunft Europas eingeleitet. Kritisch hinterfragt darin der Chef der Europäischen Kommission, welche Aufgaben die Europäische Union in Zukunft ausüben soll. Damit wird eine wichtige Diskussion angestoßen, zumal in einer Zeit, in der die europäische Idee in vielen Mitgliedsstaaten kontrovers diskutiert, von Europa-Kritikern vehement angezweifelt und von Rechtspopulisten energisch bekämpft wird.
Wenn man auf der einen Seite betont, dass Europa im Interesse der jungen Generation gestaltet werden muss, dann muss auf der anderen Seite auch ganz konkret darüber gesprochen werden, was für sie wichtig und richtig ist. Es muss darüber gesprochen werden, wie junge Menschen überzeugte Europäer werden und bleiben. Die Initiative #FreeInterrail zeigt: es gibt Ideen, wie dies gelingen könnte.
Interrail-Tickets stellen für junge Menschen eine günstige Möglichkeit dar, über die europäischen Eisenbahnnetze die verschiedenen Länder des Kontinents zu bereisen. Selbst in Zeiten der Billigflieger machen noch immer viele Jugendliche und junge Erwachsene davon Gebrauch, bietet sich damit doch die Möglichkeit an, nicht nur eine Stadt oder ein Land zu bereisen, sondern zum Beispiel einen ganzen Sommer lang quer durch Europa zu reisen, andere Sprachen zu hören, unterschiedliche Kulturen kennenzulernen.
Vor einiger Zeit bildete sich eine Initiative mit der Forderung, jeder Europäer müsse zum 18. Geburtstag einen Gutschein für ein kostenloses Interrail-Ticket erhalten. Dies, so die Initiatoren, sei der beste Weg um junge Menschen für die europäische Idee zu begeistern. Denn völlig unabhängig von gängigen Förderprogrammen, wie zum Beispiel dem bekannten Studienprogramm ERASMUS, erhielte damit jeder junge Europäer die Gelegenheit, den eigenen Kontinent und die Menschen unmittelbar zu erleben. Dies trage in der Folge dazu bei, Vorurteile abzubauen und das Verständnis für andere Länder zu erhöhen. Vor allem in Zeiten eines weit verbreiteten Rechtspopulismus ein guter Vorschlag, könnte man meinen.
Die Forderung wurde auf politischer Ebene prompt mit großem Beifall begrüßt. Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei, trug die Idee gemeinsam mit anderen Abgeordneten ins EU-Parlament. Obwohl sich die Kosten nach Schätzungen auf bis zu zwei Milliarden Euro im Jahr summieren könnten, sprach sich eine Mehrheit der Parlamentarier für die Umsetzung aus. Gemessen an einem Gesamthaushalt von knapp 145 Milliarden Euro nehmen sich zwei Milliarden Euro durchaus bescheiden aus. Könnte man zumindest meinen.
Tatsächlich aber argumentierte die Europäische Kommission unter anderem gegen die hohen Kosten: Es seien schlichtweg keine finanziellen Mittel in entsprechender Höhe verfügbar. Die Abgeordneten, die mit großer Mehrheit hinter der Initiative stehen, konnten sich mit der Kommission schließlich nur auf ein Pilotprojekt für Schulklassen in Höhe von 2,5 Millionen Euro für das Jahr 2018 einigen. Das klingt schon recht grotesk. Denn damit werden gerade einmal 0,1 Prozent des ursprünglichen Finanzbedarfs zur Verfügung gestellt.
Dieses Beispiel mag ein Dilemma verdeutlichen, das die Europäische Union in ihrem Alltagsgeschäft begleitet: Einerseits möchte sie den Bürgern, vor allem den jungen, Europa näher bringen. Andererseits tut sie sich schwer, unkonventionelle Wege zu finden, um dieses Ziel mit unmittelbar greifenden und nach außen klar erkennbaren Projekten zu verwirklichen.
Die Europäische Union braucht nicht nur abstrakte Debatten über das Wie und Warum ihrer Aufgaben. Sie sollte in den Medien und bei den Bürgern nicht hauptsächlich dadurch auffallen, dass sie über sich selbst reflektiert. Sie muss auch konkret anpacken und den Menschen Europa schmackhaft machen. Dazu muss sie Wege finden, vor allem junge Menschen direkt zu erreichen. Europa findet zwar im Moment besonders bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland und anderen Mitgliedsstaaten der EU viel Zuspruch. Nicht zuletzt bei jenen, die im Rahmen der Austauschprogramme ERASMUS und Leonardo bereits eine längere Zeit das europäische Ausland erlebt und erkundet haben.
Mit einem kostenlosen Interrail-Ticket zum 18. Geburtstag könnte Europa auch jenen näher gebracht werden, denen der Zugang zu solchen Programmen aus verschiedenen Gründen versperrt bleibt. Denn Europa muss auf Dauer mehr sein als nur eine Idee, die auf Verordnungen und Richtlinien, Agrarsubventionen und Fischereiquoten gründet. Und wenn Europa schon häufig auf Verordnungen und Richtlinien gründet, dann hoffentlich auch mal auf einer, die jedem jungen Europäer ein kostenloses Interrail-Ticket finanziert. Europa kann dabei nur gewinnen.
Ein politischer Kommentar von Alexander Suchomsky am 20. Juni 2017. In der Reihe der politischen Kommentare nehmen einzelne Mitglieder der Kolpingjugend persönlich Stellung zu gesellschaftlichen, kirchlichen oder verbandlichen Themen. Die Kommentare sollen zur Auseinandersetzung anregen und dienen der Meinungsbildung. Sie müssen nicht mit der Position der Kolpingjugend Deutschland übereinstimmen.
Mehr zum Thema Interrail auch in den X-Mag-Seiten im Kolpingmagazin.