Keine neuen Ideen zur Rente

Bringt der Koalitionsvertrag wirklich eine "ganze Menge Verbesserungen für die Rentnerinnen und Rentner"?

Ein persönlicher Kommentar von Hans Gerhardt

Bis zum Sonntag bleibt es noch spannend. Dann wird das Ergebnis des Mitgliederentscheides über die große Koalition verkündet. CDU und CSU haben dem ausgehandelten Koalitionsvertrag schon zu­ge­stimmt. Im Titel versprechen die Parteien eine "neue Dynamik für Deutschland". Die Bundes­konferenz der Kolpingjugend hat in ihren Beschlüssen festgestellt, dass in der Alters­sicherung vor dem Hintergrund des demographischen Wandels dringend gehandelt werden muss. Doch was steckt zum Thema Rente in der Koalitionsvereinbarung? Andrea Nahles (SPD) verkündet, dass dieses Paket "eine ganze Menge [...] Verbesserungen für die Rentnerinnen und Rentner" enthält. Wer sich jedoch genauer anschaut, was der Koalitionsvertrag vom 7. Februar 2018 enthält, wird keine große Überraschung darin finden.

Die "doppelte Haltelinie"

Die "doppelte Haltelinie", die bis 2025 garantieren soll, dass die Standardrente nicht unter 48 Prozent des Durchschnittslohns sinkt und gleichzeitig der Beitragssatz unter 20 Prozent bleibt, wirkt wenig ambitioniert. Von vielen Prognosen wird dieses Niveau auch ohne Anpassungen für er­reich­bar gehalten.

Thema Grundrente

Die Grundrente sichert allen Menschen, die in mindestens 35 Jahren durch Beitragszahlungen, Erziehungs- oder Pflegezeiten Rentenanwartschaften erworben haben, eine Rente zu, die 10 Prozent über dem Grundsicherungsniveau liegt. Das ist ein dringend notwendiger Schritt hin zu mehr Leistungsgerechtigkeit. Die Grundrente wird jedoch nur wenige Menschen vor Altersarmut schützen, weil die Zahl derer, die relativ kontinuierlich Anwartschaften erworben haben und dennoch unter das Grundsicherungsniveau fallen, nicht besonders groß ist.

Die Grundrente soll von der gesetzlichen Rentenversicherung abgewickelt werden, aber gleich­zeitig als Instrument der Armutssicherung eine Bedürftigkeitsprüfung durch die Agentur für Arbeit voraus­setzen. Dies führt zu einer seltsamen Vermischung von verschiedenen sozial­staatlichen Auf­gaben. Sollen die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler die Grundrente mitfinanzieren oder wird die Komponente der Armutssicherung durch Steuermittel getragen und nur durch die gesetz­liche Renten­ver­sicherung ausgezahlt? Die Idee der Kolpingjugend zu einer rein steuer­finanzierten Sockelrente, die jeder und jede erhält und auf die eine allgemeine Erwerbs­tätigen­ver­sicherung aufbaut, ist wesentlich klarer als das, was im Koalitionsvertrag vor­gelegt wurde.

Mütterrente

Viele Eltern dürfen sich über die Erhöhung der Mütterrente freuen. Mütter, die vor 1992 min­destens 3 Kinder zur Welt gebracht haben, sollen drei Rentenpunkte erhalten. Bisher erhielten nur Eltern, deren Kinder nach 1992 geboren sind, drei Rentenpunkte. Natürlich ist es richtig und wichtig, dass Erziehungszeiten durch den Erwerb von Rentenanwartschaften honoriert werden.

Die inkonsequente Umsetzung der Mütterrente wirft jedoch eine neue Gerechtigkeitslücke auf: Wieso sollen Eltern mit nur einem oder zwei Kindern deutlich weniger Rentenanwartschaften als kinder­­reiche Eltern durch die Erziehungszeiten erhalten? Ins­gesamt wird geschätzt, dass die Mütterrente bis zu vier Milliarden Euro jährlich kosten wird, die vor allem aus Beitragsmitteln finanziert werden soll. In Kombination mit der doppelten Haltelinie könnte das echt teuer werden. Die zusätzlichen Kosten müssten dann doch aus dem Staatshaushalt bezu­­schusst werden und würden damit vor allem die jüngeren Generationen belasten.

Keine langfristigen Ideen

All diese Maßnahmen mögen heute eine "ganze Menge Verbesserungen für die Rentnerinnen und Rentner" beinhalten, eine langfristige Idee kommt darin nicht vor. Die Koalition fährt auf Sicht. Bis 2025 mag das noch gut gehen. Für die Zeit danach darf die kommende Regierung aber nicht beim Ergebnis der Koalitionsverhandlungen stehenbleiben. Die kommenden drei Jahre der mög­lichen großen Koalition müssen genutzt werden, um wegweisende Zukunftsentscheidungen zu treffen. Dabei muss im Mittelpunkt stehen, wie den kommenden Generationen von Rentner­innen und Rentnern eine solide Rente garantiert wird und der Jugend Vertrauen in die gesetzliche Rente gegeben werden kann.

Und was jetzt?

Die geplante Renten­kommission muss die langfristigen Herausforderungen durch den demographischen Wandel und eine veränderte Arbeitswelt in den Blick nehmen. Dabei müssen folgende Fragen zur Diskussion stehen:

  • Welche Funktion soll die gesetzliche Rentenversicherung in Zukunft erfüllen? Wie kann sichergestellt werden, dass ohne zusätzliche private Vorsorge eine abgesicherte Altersphase möglich ist?
  • Wie könnte eine allgemeine Erwerbstätigenversicherung gestaltet sein? Wie könnten bestehende Versorgungssysteme in eine Erwerbstätigenversicherung überführt werden?
  • Wie können die finanziellen Lasten der Altersversorgung gerecht verteilt werden? Welche Rolle sollen Beiträge und Steuermittel in der Finanzierung der Renten in Zukunft spielen?
  • Welche Gedanken gibt es zur Flexibilisierung des Renteneintrittsalters bzw. der Lebensarbeitszeit?

Nur wenn diese Fragen gestellt und beantwortet werden, kann eine Koalition dem selbstgesteckten Anspruch, "eine neue Dynamik für unser Land" zu sein, auch im Thema Rente gerecht werden. Derzeit steckt jedoch noch wenig Aufbruchsstimmung im Vertragspapier.

Ein persönlicher Kommentar von Hans Gerhardt am 2. März 2018. In der Reihe der persönlichen oder politischen Kommentare nehmen einzelne Mitglieder der Kolpingjugend persönlich Stellung zu gesellschaftlichen, kirchlichen oder verbandlichen Themen. Die Kommentare sollen zur Auseinandersetzung anregen und dienen der Meinungsbildung. Sie müssen nicht mit der Position der Kolpingjugend Deutschland übereinstimmen.