Stellungnahme zu den Ergebnissen und Entwicklungen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft aus Sicht der Kolpingjugend

Am 31. Dezember 2020 endete nach sechs Monaten die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Auch ohne Covid-19 stand die Europäische Union im vergangenen Jahr vor großen Herausforderungen. Dazu zählten die Verhandlungen über den nächsten Mehrjährigen Europäischen Finanzrahmen und die Klärung des zukünftigen Verhältnisses der EU mit Großbritannien. Dann warf die Pandemie ihren Schatten über die geplanten Schwerpunkte und zwang die Bundesregierung, in ihrer Ratspräsidentschaft neu zu priorisieren und den Fokus ihrer Arbeit auf die Bekämpfung der Pandemie und die Eingrenzung von Folgeschäden zu richten. Die ursprünglich geplanten Gestaltungsschwerpunkte – wie Klimaschutz, Digitalisierung oder Europas Rolle in der Welt – wurden hinter bestehende Pflichtaufgaben eingereiht. Die Herausforderungen bleiben aber bestehen und bedürfen europäischer Lösungsansätze.

Mehrjähriger Europäischer Finanzrahmen und Corona-Wiederaufbaufonds

Das wohl größte Thema während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft waren die Verhandlungen um einen neuen Europäischen Finanzrahmen für 2021 bis 2027.  An diesen hing auch die Einigung um einen milliardenschweren Corona-Hilfsfonds. Im Streit über den nächsten langfristigen EU-Haushalt blockierten vor allem Polen und Ungarn lange eine Einigung, da sie gegen die Verankerung eines von der EU vorgeschlagenen Rechtsstaatsmechanismus waren. Dieser soll zukünftig eine Kürzung von EU-Geldern möglich machen, wenn Verstöße gegen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit nachgewiesen werden können¹. Eine Einigung hierüber konnte erst erzielt werden, als sich die EU dazu bereit erklärte, dem Rechtsstaatsmechanismus eine „interpretative Erklärung“ hinzuzufügen. Dieser Zusatz erklärt unter anderem, dass ein Verstoß gegen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit allein noch nicht für eine unmittelbare Kürzung von EU-Geldern ausreicht. Die Anstrengungen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, einen verbindlichen Rechtsstaatsmechanismus im Mehrjährigen Europäischen Finanzrahmen zu verankern, halten wir als Kolpingjugend für richtig und wichtig. Gleichzeitig sehen wir die vagen Formulierungen hinsichtlich substanzieller Veränderungen in Bezug auf die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien, zum Beispiel in Polen und Ungarn, kritisch. Wir bedauern, dass die konkreten Forderungen im Laufe der Verhandlungen immer weiter verwässert wurden und appellieren deshalb an die EU, Verstöße in der Zukunft konsequent zu ahnden. Die Unionsbürger*innen müssen sich in allen Mitgliedsstaaten auf Rechtsstaatsprinzipien verlassen können.

Mit der erzielten Einigung Ende 2020 konnte dann aber auch das Geld des Corona-Wiederaufbauprogramms „Next Generation EU“ fließen. Bereits im Mai 2020 präsentierte Bundeskanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron einen ambitionierten Wiederaufbaufonds. Der Vorschlag, die EU solle zur Bewältigung der Krise gemeinsam Schulden aufnehmen, war für viele ein Dammbruch, doch nach langen und zähen Verhandlungen gelang es einen Wiederaufbaufonds zu verabschieden, der ein Volumen von 750 Milliarden Euro umfasst. Die Kolpingjugend begrüßt diese gemeinsame europäische Einigung ausdrücklich. Europäische Lösungen werden nicht durch erzwungene Kompromisse erfolgreich, vielmehr müssen sie das Ergebnis europäischer Solidarität sein.

Klimaschutz

Ein Thema, dem im letzten Jahr deutlich zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, ist der Klimaschutz. Im Bereich der Klimapolitik und des Klimaschutzes ist während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu wenig passiert. Mit dem Europäischen Green Deal hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen 2019 einen ambitionierten Aktionsplan mit der Vision eines klimafreundlicheren, nachhaltigeren und digitaleren Europas vorgestellt. Aus Sicht der Kolpingjugend ist es der deutschen Bundesregierung während ihrer Ratspräsidentschaft jedoch nicht gelungen, die richtigen Weichen zu stellen, um diese Ziele auch konsequent zu verfolgen und schnellstmöglich in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Angesichts der Corona-Pandemie sind die Klimaziele zu einem Randthema abgedrängt worden. Zwar ist es der Bundesregierung nach einigem Ringen gelungen, alle EU-Mitgliedsländer auf das Ziel zu vereinigen, den Treibhausgasausstoß bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 55% zu reduzieren, doch auch dieses Ergebnis bleibt deutlich hinter den Erwartungen zurück und ist kaum ausreichend, um das 1,5 Grad Ziel zu erreichen². Wünschenswert und notwendig wäre eine Treibhausgasminderung von mindestens 65%. Leider wurde keine Einigung auf ehrgeizigere Klimaziele erreicht. Wir appellieren deshalb an die portugiesische und die darauffolgende slowenische Ratspräsidentschaft, hier ambitionierte Ziele zu setzen und diese konsequent zu verfolgen.

Trotzdem begrüßt die Kolpingjugend, dass Teile der Budgetmittel des Wiederaufbauprogramms an die Verankerung der nachhaltigen Entwicklung gekoppelt sind. Das heißt, geförderte Aktivitäten dürfen die Klimaziele der EU nicht gefährden. Das sehen wir als Erfolg an, denn die junge Generation wird damit konfrontiert sein, den Preis für die Konjunkturpakete zu bezahlen. Das Geld, das hierfür zur Verfügung steht, darf deshalb nicht die Zerstörung unserer Umwelt und Lebensgrundlage vorantreiben. Ob und wie diese Einigung umgesetzt wird, muss jedoch die EU-Taxonomieverordnung regeln. Diese soll die Kriterien für die Klimaverträglichkeit wirtschaftlicher Aktivitäten regeln. An diese Kriterien könnte zukünftig die Vergabe von EU-Mitteln geknüpft werden, um die Ziele des Europäischen Green Deals zu erreichen. Ursprünglich sollte dies bis Ende 2020 geklärt sein, wurde letztlich jedoch auf Anfang 2021 verschoben. Mit der Fristverschiebung ist Deutschland am Ende der EU-Ratspräsidentschaft jedoch nicht aus seiner Verantwortung entlassen. Wir appellieren an die Bundesregierung, sich weiterhin ambitioniert und engagiert für den Klimaschutz einzusetzen.

Europäische Jugendbeteiligung

Die Bundesregierung hatte angekündigt die EU-Ratspräsidentschaft auch dafür zu nutzen, die Beteiligung junger Menschen an politischen Entscheidungsprozessen zu stärken. Dies begrüßen wir ausdrücklich. Junge Menschen müssen nicht nur mitreden, sondern auch mitentscheiden dürfen. Der Europäische Jugenddemokratiekongress Anfang Oktober 2020 war ein richtiges Zeichen für mehr Jugendbeteiligung. Rund 200 jugendliche Europäer*innen haben bei diesem Kongress Forderungen entwickelt, die in Ratsschlussfolgerungen zum demokratischen Engagement junger Menschen Eingang gefunden haben. Um Demokratie und Partizipation für junge Menschen erlebbar zu machen und eine reale Jugendbeteiligung an europäischen Entscheidungsprozessen zu stärken, müssen solche Prozesse stärker gefördert werden. Die bisherigen Bemühungen sind bereits ein guter Anfang, doch dieser Weg muss konsequent
weitergegangen werden. Jugendkonferenzen als Instrument zur Beteiligung und Teilhabe stärken die Demokratie in Europa und stellen ein wichtiges Austauschforum zur Bildung und Verstetigung eines demokratischen Bewusstseins junger Menschen dar. Echte Beteiligungsmöglichkeiten an politischen Prozessen sind für junge Menschen zentral, denn sie sind ihre Möglichkeit, auf politische Entscheidungs- und Meinungsbildungsprozesse einzuwirken.
Die Kolpingjugend fordert, dass ausreichend Mittel bereitgestellt werden, die für die Schaffung und Ausgestaltung von Beteiligungsstrukturen dauerhaft zur Verfügung stehen.

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hat eine Einigung für den Europäischen Solidaritätskorps 2021–2027 erzielt. Er bildet neben Erasmus+ Jugend in Aktion ein zweites EU-Jugendprogramm im Bereich außerschulischen Lernens und ermöglicht jungen Menschen, sich in sozialen Projekten und humanitärer Hilfe zu engagieren. Die Kolpingjugend begrüßt diesen Vorstoß, erinnert jedoch gleichzeitig daran, dass freiwilliges Engagement offen gefördert und nicht zu stark an Voraussetzungen geknüpft werden darf. Für die Stärkung des Zusammenhalts in der Europäischen Union und der Förderung eines solidarischen und demokratischen Bewusstseins, sind Jugendaustausche und Freiwilligendienste zentral.

Wir begrüßen, dass die Mittel des ESF+ Sozialfonds weniger stark gekürzt wurden als befürchtet. Die Folgen der Corona-Pandemie haben überall in Europa gravierende Auswirkungen und die ESF+-geförderten Projekte werden mehr denn je gebraucht. Während der Corona-Pandemie zeigen junge Menschen in ganz Europa unglaublich viel Solidarität und Engagement. Gleichzeitig sind junge Menschen von den Folgen der Corona-Pandemie oft besonders hart betroffen. Zu viele junge Menschen in Europa sind von Armut bedroht und arbeitslos. Die Kolpingjugend fordert deshalb, dass sich die Europäische Union stärker für
eine soziale Politik einsetzt, die Jugendarbeitslosigkeit bekämpft und Mindestlöhne festlegt. Um junge Menschen zukünftig besser gegen die Folge einer Krise abzusichern, muss auch die EU-Jugendgarantie gestärkt werden.

Ausblick auf das Jahr 2021

Mit dem Jahreswechsel hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft an Portugal übergeben. Auch für Portugal wird es jetzt nicht einfach. Die portugiesische Regierung wird eine Balance finden müssen zwischen dem Abschluss offener Agendapunkte, ihrer eigenen geplanten Vorhaben und langfristigen Visionen. Die Kolpingjugend appelliert an die zwei Partnerländer der Trio-Präsidentschaft – Portugal und Slowenien – die geplanten Schwerpunktthemen, die aufgrund der Pandemie-Bekämpfung im letzten halben Jahr in den Hintergrund gerückt sind, in ihre Agenden aufzunehmen und sich weiter engagiert für diese einzusetzen.

Europapolitik wird in Deutschland jedoch auch weiterhin ein zentrales Thema bleiben – auch im Hinblick auf die anstehende Bundestagswahl im Herbst. Europäische Ideen und Themen werden im Wahlkampf eine wichtige Rolle spielen müssen: Schließlich können wir die Ziele, die unsere Erde und unser Klima betreffen, nur gemeinsam erreichen. Die Kolpingjugend wird sich deshalb auch in diesem Jahr kritisch mit den Themen befassen, die die junge Generation ihr Leben lang begleiten werden. Wir fordern von der aktuellen sowie von der zukünftigen Bundesregierung, sich auch nach der EU-Ratspräsidentschaft 2020 weiterhin proaktiv für eine solidarische, soziale und klimafreundliche europäische Politik einzusetzen. Dieses Jahrzehnt entscheidet nicht nur über die Zukunft der Europäischen Union, sondern auch über unsere gemeinsame Zukunft in einer globalisierten Welt – mit all ihren Herausforderungen.


Beschlossen durch die Bundesleitung der Kolpingjugend Deutschland am 24. Januar 2021.
Erarbeitet durch die Arbeitsgruppe Europa.


¹ Dies könnte zum Beispiel der Fall sein bei Korruption, oder wenn Richter*innen nicht unabhängig entscheiden und agieren können oder wenn die Pressefreiheit eingeschränkt wird.
² Vgl. hierzu z.B. die Studie der European Climate Foundation „Net Zero by 2050: From whether to how“, abrufbar unter https://europeanclimate.org/wp-content/uploads/2019/11/09-18-net-zero-by-2050-from-whether-to-how.pdf