Erklärung der Bundesleitung der Kolpingjugend anlässlich des Europatags am 9. Mai 2021
Der Europatag am 9. Mai lädt jährlich dazu ein, das europäische Projekt zu feiern. Wir feiern, dass wir in Europa in Frieden und Einheit leben. Wir feiern die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die Solidarität, auf der die Europäische Union fußt und dass Kriege zwischen europäischen Nationen heute unvorstellbar sind. Das vereinte Europa prägt das Leben von Millionen von Menschen und arbeitet stetig daran, eine bessere und gerechte Zukunft für alle zu gestalten. Seit über einem Jahr erleben Europa und die ganze Welt durch die Corona-Pandemie jedoch einschneidende Zeiten. Die Pandemie bedroht unsere Gesundheit und es zeichnen sich bereits jetzt verheerende soziale und ökonomische Folgen ab. In dieser Zeit, in der Europa und die ganze Welt gegen eine globale Pandemie kämpft, brauchen die Menschen in Europa mehr denn je eine starke, engagierte und solidarische Europäische Union. Die Kolpingjugend ist davon überzeugt, dass der EU bei der Bewältigung der Corona-Krise eine entscheidende Rolle zukommt.
„Next Generation EU“
Die EU steht durch die Corona-Pandemie vor einer Rezession historischen Ausmaßes. Mit ihrem außerordentlichen Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ haben die europäischen Staatsund Regierungschefs Solidarität bewiesen und 750 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, damit sich die EU von den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie erholt. Dass bei dem Aufbaupaket Investitionen in den ökologischen und digitalen Wandel Priorität haben sollen, begrüßen wir ausdrücklich. Innovation und Nachhaltigkeit sind wesentliche Faktoren für die wirtschaftliche Erholung. Damit die Krise jedoch nicht zu einem dauerhaften sozialen Notstand wird, müssen vor allem auch die Themen Arbeitsplatzsicherheit, Mindestlöhne und Chancen für junge Menschen im Mittelpunkt stehen. Wenn Europa wettbewerbsfähig bleiben und „Next Generation EU“ seinem Namen gerecht werden will, muss jetzt mehr in Europas Jugend investiert werden. Denn Studien belegen inzwischen, was viele bereits vermutet haben: Junge Menschen sind besonders stark von den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie betroffen. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt vor unverhältnismäßigen Auswirkungen auf die Jugend in Bezug auf Bildung, Einkommen, Beschäftigung und psychische Gesundheit. Doch obwohl junge Menschen die wirtschaftlich am stärksten betroffene Gruppe sind, finden sich ihre Bedürfnisse in den sozialen und wirtschaftlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise und ihren Folgen nicht ausreichend wieder. Es wird sich vor allem auf die Mittelschicht und große Unternehmen konzentriert, wodurch junge Menschen häufig vernachlässigt werden. Dieser Schaden könnte für die junge Generation verheerend sein.
Jugendarbeitslosigkeit verursacht Langzeitschäden
Die Jugendarbeitslosigkeit in der EU lag im März 2021 bei 17,1 Prozent (im Vergleich zu 14,9 Prozent im März 2020)¹. Die allgemeine Arbeitslosenquote in der Gesamtbevölkerung ist mit 7,3 Prozent (Stand März 2021²) weniger als halb so hoch. Wenn sich bei jungen Menschen aufgrund längerer Arbeitslosigkeit zu Beginn ihres Berufslebens oder durch schlechtere Konditionen (z. B. niedriges Gehalt) zu Beginn ihrer Erwerbskarriere eine Wohlstandslücke bildet, spricht man auch von einem Scarring-Effekt. Jugendarbeitslosigkeit verursacht Langzeitschäden! Sie muss deshalb ein zentrales Anliegen für die Politik der kommenden Jahre sein. 20 Milliarden Euro hält der Wiederaufbaufonds für die Beschäftigung von Jugendlichen und eine Jugendgarantie bereit. Die Jugendgarantie soll sicherstellen, dass junge Menschen unter 30 Jahren innerhalb von vier Monaten nach Ende ihrer Ausbildung oder Verlust ihres Arbeitsplatzes eine neue Beschäftigung, Lehrstelle, Weiterbildung oder Praktikum erhalten. Mit einem 100 Milliarden schweren Programm legt die Europäische Kommission außerdem ein Programm zum Schutz von Arbeitsplätzen und Erwerbstätigen (SURE) vor³. Die Bundesleitung der Kolpingjugend begrüßt den SURE-Mechanismus und die Jugendstrategie. Diese sind gute Instrumente, die für die Mitgliedsstaaten Verpflichtungen schaffen, um Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Es braucht jedoch noch mehr. Die Umsetzung dieser Maßnahmen liegt in der Verantwortung der einzelnen Länder. Die EU kann zwar Geld anbieten, aber wenn die nationalen Strukturen nicht auf die Umsetzung solcher Programme vorbereitet sind, wird die Wirkung der Jugendgarantie begrenzt bleiben. Deshalb müssen gezielte wirtschaftliche Maßnahmen ergriffen werden, die die Jugendarbeitslosigkeit in den Blick nehmen. Aktuell zerstört die Krise Träume, Hoffnungen und Lebensentwürfe vieler junger Menschen. Um zu verhindern, dass aus der Krise eine verlorene Generation hervorgeht, ist es höchste Zeit, dieses Risiko ernst zu nehmen und mit mutigen Maßnahmen anzugehen.
Europäische Jugendarbeit in einem Europa ohne Grenzen
Die nationale und europäische Jugendarbeit und der internationale Austausch sind aufgrund der Corona-Pandemie fast vollständig zum Erliegen gekommen. Vieles musste abgesagt, auf unbestimmte Zeit verschoben oder in den digitalen Raum verlegt werden. Die Auswirkungen dessen sind nicht zu unterschätzen. Die heute jungen Menschen sind zwar als digital natives aufgewachsen, doch auch ihnen fehlt die analoge Nähe sehr. Das so wichtige soziale Miteinander, das in jungen Altersgruppen noch eine wesentliche Rolle bei der Persönlichkeitsentwicklung spielt, wurde durch das social distancing extrem eingeschränkt und trifft junge Menschen deshalb oft stärker als ältere. Psychologische Studien zeigen, dass die seelische Gesundheit junger Menschen besonders stark von Kontaktbeschränkungen betroffen ist. Als Kolpingjugend fordern wir deshalb, dass wieder Räume für Austausch, Freude, Spiel und Zusammenkunft geschaffen werden müssen, damit junge Menschen wieder Anschluss an das soziale Gefüge und die Gemeinschaft finden. Generationenübergreifende Verbände wie Kolping mit Angeboten wie der Kolpingjugend und der Kolpingjugend Europa leisten hierfür einen entscheidenden Beitrag. Die Bundesleitung der Kolpingjugend begrüßt, dass die EU zurzeit eine neue Jugendarbeitsagenda(4) unterstützt, die als strategischer Rahmen die Qualität und Anerkennung von Jugendarbeit in ganz Europa verbessern soll, um europäische Jugendpolitiken gezielt und nachhaltig weiterzuentwickeln. Das europäische Programm Erasmus+ für allgemeine berufliche Bildung, Jugend und Sport ist ebenfalls eine sinnvolle und wichtige Initiative, um Projekte europaweit zu fördern. Die heutige Jugend ist ohne Grenzen aufgewachsen und durch Programme wie Erasmus+ in Europa eng verflochten. Die Entscheidung, das Programmbudget für die neue Laufzeit mit einem Budget von 26 Milliarden Euro fast zu verdoppeln(5), befürworten wir ausdrücklich. Die EU ist bei jungen Menschen deutlich beliebter als bei älteren Generationen – sorgen wir dafür, dass das so bleibt.
Mehr Jugendbeteiligung für eine starke europäische Demokratie
Eine umfassende Teilhabe und die Förderung des Engagements junger Menschen ist eine wesentliche Voraussetzung für die Zukunft eines sozialen und solidarischen Europas. Eine starke europäische Jugend ist der beste Schutz gegen nationale Egoismen und rechte Stimmungsmache. Deshalb müssen wir den Wert eines verantwortungsvollen und partizipativen Demokratieverständnisses stärken. Wenn im Vordergrund die Verantwortung füreinander steht, dann sollten wir diese jedoch auch als Chance begreifen, die europäische Jugend im Politischen auch stärker mit in die Verantwortung zu nehmen und ihr eine aktive Rolle zu geben, wenn es um das Gestalten ihrer Zukunft geht. Denn das demografische Ungleichgewicht führt aktuell dazu, dass es mehr alte Wähler*innen als junge gibt und somit die Alten über die Zukunft der jungen entscheiden. Der von der EU angebotene Jugenddialog ist eine gute Initiative dem entgegenzuwirken, geht jedoch nicht weit genug. Um den Generationenkonflikt zu einer gegenseitigen Solidarisierung zu wenden und gemeinsam Zukunft zu gestalten, braucht es aktiven Dialog und Austausch, neue dialogorientierte Beteiligungsformate, eine Absenkung des Wahlalters sowie wirkungsvolle Beteiligungsmöglichkeiten für junge Menschen und einen Platz am Verhandlungstisch. Das würde auch ihren Glauben an Europa und an die europäische Demokratie stärken.
Eine sichere Zukunft für die kommenden Generationen
Als Bundesleitung der Kolpingjugend ist für uns zentral, dass die sozialen Rechte junger Menschen im Mittelpunkt stehen und alle Kinder und Jugendlichen dieselben Chancen und Potenziale für die Gestaltung ihres Lebens haben – egal in welchem Land sie aufwachsen. Um soziale Ungleichheiten abzubauen und Chancengleichheit zu stärken, muss es eine stärkere Förderung von formeller und informeller Bildung geben. Im Mai will die EU-Kommission einen Sozialgipfel der EU-Staats- und Regierungschefs einberufen, eine „Konferenz über die Zukunft Europas“. Diese muss die Zukunft der kommenden Generationen in den Mittelpunkt stellen. Nicht nur in Bezug auf Beschäftigung, sondern auch in ihren sozialen Komponenten. Die Mitgliedsstaaten sollten dort zeigen, dass die Europäische Union mehr ist als die Summe ihrer Länder. Gerade in schlechten Zeiten muss sich Solidarität manifestieren.
¹ Quelle: Statista
² Quelle: Statista
³ SURE (Support to mitigate Unemployment Risks in an Emergency) soll den Mitgliedsstaaten bei der Finanzierung nationaler Kurzarbeitsregelungen und ähnlicher Maßnahmen in Reaktion auf die Pandemie verbundenen Kosten unterstützen. Die Mittel werden in Form von Darlehen an die begünstigten Mitgliedstaaten ausgezahlt. Quelle: Europäische Kommission
(4) Quelle: Rat der Europäischen Union
(5) Das Budget für die Laufzeit von 2014-2020 betrug 14,7 Milliarden Euro.