Wir erleben in der Gesellschaft gerade viel Aufmerksamkeit für die Sicht junger Menschen. Es wäre aber ein Trugschluss, dieses Interesse als eine reife, reflektierte und selbstbestimmte Wahl der Älteren zu werten. Stattdessen haben sich junge Menschen angesichts gewaltiger, globaler Herausforderungen Aufmerksamkeit für ihre Anliegen erkämpft. Was zeigt das? Junge Menschen können und wollen mitbestimmen. Es ist an der Zeit, ihnen dieses Recht zu verbriefen!

Kinder und Jugendliche müssen wählen können!
Es braucht mehr politische Beteiligungsmöglichkeiten für junge Menschen. Ihre Stimmen sind für die Demokratie so wichtig wie jede andere. Deshalb fordern wir ein aktives Wahlrecht ohne Altersgrenze bei Europa-, Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen.¹

Ein mögliches Modell: Mit 14 Jahren werden Jugendliche automatisch in das Wähler*innenverzeichnis aufgenommen. Vorher schon können Kinder und Jugendliche einen Antrag stellen, um an einer Wahl teilzunehmen. Ein Stellvertretungswahlrecht lehnen wir ab. Es ist kein Ersatz für die eigene politische Entscheidung von Kindern und Jugendlichen. Das Wahlrecht ist höchstpersönlich und kann nicht übertragen werden. Die Wahlalterabsenkung auf 16 Jahre wäre ein überfälliger Schritt in die richtige Richtung.

Die Macht geht vom Volke aus – nur nicht von Kindern und Jugendlichen
Das Grundgesetz regelt, dass alle Staatsgewalt vom Volke auszugehen hat.² Gleichzeitig werden Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren (in manchen Ländern in Bezug auf Kommunal- und Landtagswahlen erst unter 16 Jahren)³ von dem zentralen Machtinstrument der Demokratie ausgeschlossen: Der Wahl. Dieser Umstand wird gerechtfertigt, indem jungen Menschen Eigenschaften wie Selbstständigkeit, Unbeeinflussbarkeit und Reife pauschal abgesprochen werden, die als Grundvoraussetzungen für Wähler*innen gelten. Diese Eigenschaften mit einer pauschalen Altersgrenze zu verbinden, wird der Unterschiedlichkeit der Menschen aber nicht gerecht. Reife oder Mündigkeit kann nicht getestet werden. Stattdessen muss sie allen Wähler*innen unterstellt werden, wenn sie sich zur Wahl entscheiden. Handlungen von Kindern und Jugendlichen sind nicht defizitär, weil sie von jungen Menschen durchgeführt werden. Stattdessen speisen sie sich aus anderen – aber nicht falschen – Lebensweltbezügen und Erfahrungen. Kinder und Jugendliche können ihre Interessen am besten selbst vertreten. Der Entschluss, zur Wahl zu gehen, muss auch darum als Befähigungsnachweis ausreichen.

Jugendliche wählen ihren Lebensweg – aber nicht ihre Politik
Ab 14 Jahren sind Jugendliche teils strafmündig.4 Sie treffen Entscheidungen über ihren beruflichen Werdegang und bestimmen über ihre Religionszugehörigkeit. Ihnen wird Eigenständigkeit und Verantwortlichkeit zugestanden. In der Schule lernen sie, wie das politische System funktioniert. Von politischer Mitbestimmung sind sie aber ausgeschlossen, als ob die Politik von heute nichts mit der Welt von Morgen zu tun hätte.

Schon im Heranwachsen braucht es eine fundierte Heranführung an politische Themen, um unsere Demokratie mit Leben zu erfüllen. Demokratie ist keine Selbstläuferin. Jugendliche besitzen bereits ein hohes politisches Interesse und sind auch informiert. Gerade die in der Jugend typische Einbettung in Familie und Schule kann Halt und Orientierung bieten. Damit verbunden sind aber auch Nachteile sozialer Ungleichheiten.5 Diese Ungerechtigkeit lässt sich aber nicht als Argument gegen die Herabsenkung des Wahlalters ausspielen.

Generationengerechtigkeit braucht junge Wähler*innen
Eine nachhaltige Politik, die soziale, ökonomische und ökologische Aspekte verhandelt, kann auf die Perspektive von Kindern und Jugendlichen nicht verzichten. Eine generationengerechte Politik erfordert gerade angesichts des demografischen Wandels eine Stärkung junger Stimmen. Parteien und Politiker*innen richten sich nach den Stimmen der Wähler*innen aus. Wenn dabei 13 Millionen Bürger*innen – Kinder und Jugendliche – ausgeblendet werden, führt das unweigerlich zu einer Interessenverschiebung zu Ungunsten junger Menschen. Dagegen hat eine Ausweitung des Wahlrechts eine Signalwirkung. Politik muss sich auch vor jungen Menschen rechtfertigen.

Politische Beteiligung junger Menschen
Gleichzeitig fordern wir, die Wahlalterabsenkung mit weiteren Maßnahmen zu verknüpfen, um soziale Ungleichheiten nicht zu verstärken. Neben den Schulen hat dabei auch der zivilgesellschaftliche Bereich den Auftrag benachteiligten Kindern und Jugendlichen politische Beteiligung nah zu bringen. Letztlich ist das Wahlalter ein Handlungsfeld für politische Beteiligung junger Menschen, aber nicht das einzige.6

Beschlossen durch die Bundeskonferenz der Kolpingjugend am 7.  März 2021.

¹ Die Kolpingjugend unterstreicht und konkretisiert damit die Positionen des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) – siehe https://www.bdkj.de/jugendpolitik/wahlalter– und des Deutschen Bundesjugendrings (DBJR) – siehe https://www.dbjr.de/xtra/wahlaltersenken/.
² Artikel 20, Absatz 2 GG. Nachweis: https://dejure.org/gesetze/GG/20.html 
³ Nachweis: https://www.machs-ab-16.de/wahlen-ab-16-in-deutschland/ 
4 Nachweis: https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/recht-a-z/324105/strafmuendigkeit 
5 Die Studie „Wählen mit 16?“ von Faas & Leininger (2020) ordnet das politische Interesse und Wissen bei 15- bis 24-Jährigen auf einem stabilen, hohen Niveau ein (vgl. S. 31–34). Gleichzeitig wird betont, dass eine Absenkung des Wahlalters „mit gezielten und effektiven Maßnahmen flankiert werden muss“ (S. 52), um bestehende soziale Ungleichheiten nicht zu verstärken. Quelle
6 Vergleiche: „Jugend beteiligen jetzt!“, Beschluss der BDKJ-Hauptversammlung 2019. Quelle