Eu(ropa)phorie statt Europaphobie!
Die EU hat es in Zeiten von Brexit und Politikverdrossenheit nicht leicht. Und doch ist ein stabiles Europa gerade für die junge Generation von immenser Bedeutung. Bei der Europawoche #myeurope der Kolpingjugend im Kolpingwerk Deutschland hat EU-Politik in Brüssel ein Gesicht bekommen.

Mal kurz mit dem Handy eine Nachricht nach Hause schicken, dass der ICE pünktlich in Brüssel angekommen ist. Mal eben die beste Freundin anrufen, um ihr zum Geburtstag zu gratulieren. Oder aber sich nochmal schnell in der #myeurope-WhatsApp-Gruppe vergewissern, ob es beim vereinbarten Treffpunkt bleibt. – Dass dies mit einem deutschen Smartphone in Belgien ohne Auslandsmehrkosten möglich ist, war für die Teilnehmenden vor Ort sicherlich das anschaulichste Beispiel von im Alltag spürbarer EU-Politik. Schließlich war es die Europäische Union, die Roaming-Zusatzgebühren innerhalb Europas Mitte des vergangenen Jahres komplett abgeschafft hat.
16 junge Erwachsene haben unter Leitung von Alexander Suchomsky (Jugendpolitischer Bildungsreferent des Kolpingwerkes Deutschland) und Manuel Hörmeyer (stellvertretender Bundesvorsitzender des Kolpingwerkes Deutschland) Mitte November eine Woche in der EU-Hauptstadt Brüssel verbracht, um Institutionen und Akteure der Europapolitik kennenzulernen und mit ihnen über europäische Themen zu sprechen. Mit Peter Liese und Thomas Mann standen gleich zwei Begegnungen mit langjährigen deutschen EU-Politikern auf dem Programm, die außerdem Kolpingmitglieder sind. In der Europäischen Kommission diskutierte die Gruppe unter anderem mit Léon Delvaux, einem Kabinettsmitglied von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
Dass EU-Politik weitaus mehr als nur abgeschaffte Roaminggebühren ist, wurde in Gesprächen und den täglichen Seminarsitzungen deutlich, die in den Räumlichkeiten der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE) stattfanden. Ein Themenschwerpunkt war die soziale Dimension Europas. Wie stellen sich junge Erwachsene die Zukunft Europas vor und was erwarten sie von einem sozialen Europa? Teilnehmer Paul Schroeter (24): „In unserer globalisierten und vernetzten Welt leben wir in größeren Zusammenhängen als früher und können uns nicht auf nationale Privilegien und Rechte zurückziehen. Ein soziales Europa muss in der EU gleiche Lebensstandards und ein gemeinsames Sozialsystem schaffen sowie die hohe Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen.“
Neben einer Besichtigung des riesigen Parlamentsgebäudes inklusive Plenarsaal, der allen 751 Europaabgeordneten Platz bietet, haben die Kolpinger*innen an einer Sitzung des Ausschusses für Internationalen Handel teilgenommen, die von Simultandolmetscher*innen in alle 24 Amtssprachen der EU übersetzt wurde. Beim Besuch des Europabüros des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und der Landesvertretung Nordrhein-Westfalen bekamen sie einen Einblick in die wichtige Lobbyarbeit zur Durchsetzung von Interessen und diskutierten beispielsweise über Arbeitnehmer*innen-Themen wie den Sonntagsschutz, das bedingungslose Grundeinkommen und den Mindestlohn. Für einen Abend kam auch Kolping-Bundessekretär Ulrich Vollmer nach Brüssel gereist. In seiner neuen zusätzlichen Funktion als Europasekretär des Kolpingwerkes Europa informierte er über die Kolpingarbeit, die in 20 europäischen Ländern stattfindet.
Für Teilnehmerin Ruth Aim ist ein Europa ohne EU überhaupt nicht denkbar: „In Brüssel ist mir bewusst geworden, wie stark wir mit unseren Nachbarn durch die Union verbunden sind. Die EU ist ein Netz, das uns alle trägt und für Offenheit, Toleranz und interkulturellen Austausch sorgt. Ein Vorteil, den wir anderen Kontinenten voraus haben.“ Die 19-Jährige schätzt die Reisefreiheit in Europa und meint, es sei auch Verdienst der EU, dass wir seit über 70 Jahren ohne Krieg in ihr leben können. „Umso wichtiger ist es, dass Europa den Rechtsruck in manchen Mitgliedsstaaten eindämmt, indem verstärkt wieder soziale Themen in den Vordergrund rücken. Wenn sich Regierungen zu sehr auf Wirtschaft und Globalisierung fixieren, müssen sie den Fokus wieder zu den Menschen richten, um sie sozial zu vereinen und keine Europaphobie entstehen zu lassen.“
Text/Fotos: Matthias Böhnke.


Weiteres zu #myeurope:
"Eu(ropa)phorie statt Europaphobie!" - Artikel aus dem Kolpingmagazin 1-2018, S.18-19, als PDF
News vom 27.11.2017: #myeurope! Politik hautnah in Brüssel